Eine Britin setzt per Handy einen Hilferuf ab: Sie werde von wilden Tieren attackiert. Danach verstummt das Signal. Tage später werden die Überreste der Frau gefunden. Ihr Tod gibt Rätsel auf.
Athen – Gruselig, mysteriös und ungeklärt: Der Tod einer britischen Flüchtlingshelferin im Norden Griechenlands beschäftigt Polizisten und Experten für Wildtiere gleichermaßen. Wurde die Frau wirklich von Wölfen angegriffen und zerfleischt? Ein Gerichtsmediziner ist sich dessen sicher. Griechische Wolfkenner hingegen bezweifeln das – zu scheu seien die Tiere und in der betroffenen Region auch gar nicht heimisch. Auch die Polizei hat die Akte noch nicht geschlossen.
Was geschah wirklich am vergangenen Donnerstag in der Nähe der antiken Stätte von Maronia nahe der nordgriechischen Stadt Komotini? Britische Medien berichten, die 62-jährige Flüchtlingshelferin aus Bradford on Avon habe Verwandte in England angerufen und von einer Attacke durch wilde Tiere berichtet. Danach sei das Signal abgebrochen. Die Verwandten setzten sich daraufhin mit der britischen Botschaft in Athen in Verbindung, die Frau wurde als vermisst gemeldet und die griechische Polizei begann mit der Suche.
Erst zwei Tage später wurden die Rettungstrupps fündig. Offenbar war die Frau beim Wandern von der Strecke abgekommen, als sie Maronia besuchen wollte – am Samstag wurden ihre Überreste rund vier Kilometer von der eigentlichen Route entfernt entdeckt.
Keine Zweifel am Tod der Engländerin
„So etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen“, sagt dazu der zuständige Gerichtsmediziner Nikolaos Kifnidis der Deutschen Presse-Agentur. Entdeckt wurden menschliche Knochen, große Teile des Körpers fehlten allerdings, darunter auch die Wirbelsäule. Dass es sich um die Britin handelt, steht Kifnidis zufolge fest. „Wir haben keine Zweifel. Die Knochen, die wir gefunden haben, sind die der Engländerin.“ In der Nähe habe man Gegenstände und Dokumente der Frau gefunden, außerdem werde in der Region sonst niemand vermisst und die Überreste seien auch nicht älteren Datums.
Kifnidis zog einen Veterinärexperten hinzu, der die Bissspuren an den Knochen analysierte und zu dem Schluss kam, es handele sich eindeutig um Spuren von Wölfen. Dafür spreche auch, dass Teile des Körpers fehlten. „Die Tiere ziehen ihre Beute in ihr Versteck.“ Leben könnten Wolfsrudel demnach im dicht bewaldeten Gebiet von Ismaros in der Nähe von Maronia.
Panos Stefanou, Sprecher der griechischen Wildtier-Organisation Arktouros, hat Zweifel. Schon ein Blick auf die Landkarte lasse das Szenario unwahrscheinlich erscheinen. Das Waldgebiet Ismaros sei viel zu klein für ein Wolfsrudel. „Wir wissen zwar nicht, ob es dort Wölfe gibt, aber der Fundort der Leiche liegt viel zu weit südlich, fast an der Küste, ungeschützt, in der Nähe zum Strand.“ Dort hielten sich Wolfsrudel nicht freiwillig auf. Erwiesen sei, dass viele Wölfe viel weiter nördlich in den dicht bewaldeten, weitgehend unbewohnten Grenzgebirgen von Griechenland zu Bulgarien, Mazedonien und Albanien lebten.
Opfer einer Attacke verwilderter Hunde?
„Hinzu kommt, dass die scheuen Tiere beim Anblick von Menschen Reißaus nehmen“, ergänzt Spyros Psaroudas von der griechischen Wolf- und Wildtierorganisation Callisto. Vorstellbar sei, dass die Frau Opfer einer Attacke verwilderter Hunde war, von denen es nach Schätzungen in Griechenland rund eine Million gibt. Auch die großen griechischen Schafhütehunde kämen in Frage.
„Gerade in der Region um Maronia leben viele dieser riesigen Hunde, die Wölfen sehr ähneln“, sagt Psaroudas, der sich wundert, wie ein Veterinär den Unterschied zwischen den Bissspuren von Hütehund und Wolf ermittelt haben will. Die Tierschützer fordern deshalb, es müsse ein DNA-Test gemacht werden, um den Speichel an den Bissspuren zu analysieren und eindeutig festzustellen, um was für eine Spezies es sich handele.
Auch die griechische Polizei hat den Fall noch nicht ad acta gelegt. Offenbar wollen die Beamten zunächst auch sichergehen, dass die Frau nicht schon vor der Attacke ums Leben kam. Der Sprecher der Polizei von Komotini hält sich bedeckt. „Wir ermitteln weiter.“
Von Tieren zerfleischte Engländerin: DNA-Ergebnisse in 40 Tagen
Ob tatsächlich Wölfe eine 62-jährige Britin in Griechenland zerfleischt haben, soll in etwa 40 Tagen feststehen. Dies sagte am Freitag der zuständige Gerichtsmediziner, Nikolaos Kifnidis, griechischen Medien. Zurzeit würden in Speziallaboren DNA-Tests der sterblichen Überreste der Frau durchgeführt. Zudem wird nach DNA-Spuren der Tiere gesucht, die sie gefressen haben. „Diese Untersuchungen werden in etwa 30 bis 40 Tagen vorliegen.“
Er betonte noch einmal seine ersten Erkenntnisse, wonach die Frau von Wölfen getötet worden sei. Bereits am Vortag hatte Kifnidis der Deutschen Presse-Agentur gesagt: „Es waren sicher Wölfe. Das haben wir nach einer mehrstündigen Untersuchung zusammen mit einem Veterinärexperten festgestellt.“ Einige Experten haben aber Zweifel an dieser Theorie. Sie vermuten einen Angriff von Hunden.
Das Opfer wanderte nach Angaben der Polizei von Komotini am 21. September in der Nähe der antiken Stätte von Maronia und wurde zunächst als vermisst gemeldet.
Grusel-Szenario Wolfsangriff – wie wahrscheinlich ist das?
Eine DNA-Analyse soll nun klären helfen, ob es tatsächlich Wölfe oder aber aggressive Hütehunde oder Streuner waren, die auf die Touristin losgingen. Fragen und Antworten zum Thema:
Wie groß ist die Aussagekraft der Untersuchung der Überreste?
Aus Sicht von Experten wären DNA-Analysen wichtig, um die beteiligte Tierart mit Sicherheit bestimmen zu können. Die Berliner Veterinärpathologin Claudia Szentiks betont, dass es generell auch von der Vollständigkeit der Überreste abhängt, ob eine Todesursache – wie zum Beispiel ein Biss in die Kehle – einwandfrei geklärt werden kann. Seien nur noch Knochen übrig und finde man Wolfs-DNA daran, zeige das lediglich, dass ein Wolf an der Leiche war – womöglich nur als Aasfresser, so die Wissenschaftlerin.
Gab es schon viele Wolfstote in Europa?
Wolfskenner nennen vereinzelte Fälle in den vergangenen Jahrzehnten. „Panikmache ist für Deutschland nicht angebracht“, sagte ein Sprecher des Deutschen Jagdverbandes. Laut Naturschutzbund Deutschland (Nabu) kam es zwischen 1950 und 2000 in Europa zu 59 Angriffen, bei denen neun Menschen starben. Bei fünf der tödlichen Angriffe seien die Wölfe an Tollwut erkrankt gewesen. Der Nabu beruft sich bei den Angaben auf eine wissenschaftliche Untersuchung eines norwegischen Institutes (Nina), das weltweit dokumentierte Fälle zusammenstellte.
Gab es in Deutschland in den vergangenen Jahren Angriffe?
Nein. Seitdem sich seit 2000 wieder Wölfe in Deutschland angesiedelt haben, ist kein aggressives Verhalten der Tiere gegenüber Menschen bekanntgeworden. Allerdings haben manche freilebenden Wölfe keine Scheu, sich Ortschaften und Gehöften zu nähern – etwa wenn sie auf der Suche nach Nahrung sind. Zwischen 2002 und 2015 haben Wölfe nach Angaben der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes (DBBW) mehr als 2000 Nutztiere gerissen, zum größten Teil Schafe. Nach Angaben von DBBW und Naturschutzbund Nabu leben hierzulande 70 Rudel oder Paare.
Wo sind in Europa die Wolf-Hotspots?
Wölfe leben nach Nabu-Angaben in vielen Teilen Osteuropas, zudem in Gebieten des ehemaligen Jugoslawiens, Nordgriechenland, Italien, den Westalpen, Nordspanien und Mittelskandinavien. In Deutschland ist der Wolf vor allem in der Lausitz in Brandenburg und Sachsen wieder heimisch.
Wird der Wolf in Griechenland bejagt?
Laut Deutschem Jagdverband dürfen Wölfe wie in der gesamten EU nicht bejagt werden, weil die Art nach einer Richtlinie streng schützt ist. Aus Sicht von Jägern es aber durchaus sinnvoll, den Tieren mehr Angst vor Menschen zu vermitteln. Der Wolf habe keine natürliche Scheu vorm Menschen, sagte Sprecher Torsten Reinwald. „Wenn dem so wäre, hätten wir heute keine Hunde.“
Warum greifen Wölfe Menschen an?
Buchautor Eckhard Fuhr („Rückkehr der Wölfe“) sagt: „Die häufigste Ursache ist Tollwut.“ Nach Erfahrungsberichten sei der Verlauf der Tollwut beim Wolf ausgesprochen aggressiv. Fuhr spricht von einem „regelrechten Amoklauf“, der möglich sein kann. Dass tollwütige Wölfe im Rudel auftreten, hält er allerdings für eher unwahrscheinlich. Tollwutkranke Tiere sonderten sich eher von Artgenossen ab. Deutschland gilt seit 2008 als tollwutfrei.
Bei gesunden Wölfen werden Angriffe laut Fuhr vor allem durch menschliches Fehlverhalten ausgelöst – etwa durch Anfüttern. Wölfe betrachten Menschen dann als Quelle für Futter und werden so an ihn gewöhnt. Nach Nabu-Einschätzung kann es dann beim Wolf zu dreistem Verhalten kommen, wenn er sein Futter einfordere.
„Dagegen gibt es nur sehr selten Fälle, in denen Wölfe im Menschen offensichtlich eine Beute sehen“, erläutert Fuhr. Zu diesem Schluss kommt auch der Nabu. Es habe in der Vergangenheit nur vereinzelt Fälle etwa in Pakistan gegeben, in denen ein Wolf aus Ermangelung an Beute auf Hirten losging, sagt Nabu-Wolfsexperte Markus Bathen. Auffällige Wölfe können in Deutschland auch abgeschossen werden, betont Wissenschaftlerin Szentiks.
Wie verhalte ich mich, wenn ich einem Wolf begegne?
Wenn man in Deutschland einen Wolf sieht, sollte man sich nach Einschätzung von Autor Fuhr bemerkbar machen. Das führe dazu, dass sich der Wolf entfernt. „In die Hände klatschen, sich aufrichten, sich groß machen – dann wird er verschwinden.“ Wenn man mit einem Hund in einem Gebiet, wo Wölfe vermutet werden, spazieren geht, sollte er laut Fuhr an die Leine genommen werden. Wölfe können in Hunden einen Artgenossen sehen, der in ihr Territorium eindringt. Der Nabu rät, einem Wolf nicht hinterzulaufen oder -fahren. Auch solle man niemals versuchen, ihn anzulocken oder zu füttern.