Lamas spucken. Und wiehern hysterisch. Und können Wölfen Angst einjagen. Deshalb setzen immer mehr Schäfer in der Schweiz auf ihre abschreckende Wirkung. Und eine Schäferin.

Champillon – Keck glotzt Shakespeare über die Weide, seine Schäfchen stets im Blick – wenn er den Kopf nicht gerade selbst in die satte Wiese steckt. Shakespeare ist ein Lama. Lamas können ziemlich hysterisch wiehern. Aber dieser „Halbmann“, wie Schäferin Claudine Monard den kastrierten Aufpasser ihrer Herde nennt, hat an diesem Sonnentag auf rund 1200 Metern Höhe die Ruhe weg.

Shakespeare ist auf der Schweizer Alp Champillon im Kanton Waadt gut eine Stunde oberhalb des Genfer Sees im Einsatz. Er wacht über rund 350 Schafe. „Für Hunde und Menschen ist es ziemlich einschüchternd, wenn Shakespeare sie anstarrt“, sagt Monard. So abschreckend soll er aber vor allem auf Wölfe wirken.

Shakespeare auf der Alp bietet Wölfen die Stirn
Eine Schafsherde wird auf der Alp Champillon im Schweizer Kanton Waadt von einem Lama bewacht. SOURCE: © Krimo Hamida/dpa

Seit die sich von Italien und Frankreich kommend wieder in den Alpen ausbreiten, herrscht Alarm auf den Schweizer Weiden. 30 bis 40 Wölfe gibt es inzwischen, Tendenz: steigend. Gleichzeitig sind etwa die Hälfte der 350 000 Schafe in der Schweiz in den Sommermonaten auf der Alp. Jedes Jahr geht es dort blutiger zu: 2014 rissen Wölfe knapp 22 Nutztiere, 2015 schon 322 und 2016 waren es mindestens 397. Die Bauern schafften erst Herdenschutzhunde an. Von 40 im Jahr 2003 stieg ihre Zahl auf den Alpen auf über 200 im vergangenen Jahr.

Probleme mit Herdenschutzhunden

Aber das schaffte neue Probleme: Die Hunde empfinden auch Wanderer und Radfahrer als Bedrohung, bellen sie an und beißen manchmal zu. Auch Matthieu Müller (31), dem Monards Schafherde gehört, erlebte, wie ein Hund zubiss. So sprang er 2012 sofort an, als die Schweiz Lamas im Herdenschutz zu testen begann. „Lamas sind bodenschonende, krankheitsresistente Raufutterverzehrer, ein angenehmes ruhiges Tier“, preist ein Schweizer Lama-Züchter die Kamel-Tiere, die in den Anden in Südamerika zu Hause sind. Rund 3000 gibt es heute in der Schweiz – die meisten schützen keine Schafe.

Shakespeare auf der Alp bietet Wölfen die Stirn
Die Schäferin Claudine Monard steht auf der Alp Champillon im Schweizer Kanton Waadt. SOURCE: © Krimo Hamida/dpa

Shakespeare war von Anfang an dabei, 2012. Wie Monard, von Beruf eigentlich Apothekenhelferin. Sie suchte eine neue Perspektive und ist seitdem Schäferin. Ihr helfen zudem die Hunde Sky (3) und Curly (2). Deren Job ist es, die Schafe zusammenzuhalten und zu neuen Weideplätzen zu führen. Anführer der Herde ist aber Shakespeare.

Ob er schon einmal einen Wolf in die Flucht geschlagen hat, weiß niemand. „Der Nachweis ist naturgemäß schwer“, sagt der Herdenschutzbeauftragte Daniel Mettler. Wehrt das Lama in der Nacht einen Wolf ab, bekommt es niemand mit. Seit 2012 habe es in lamageschützten Herden drei Zwischenfälle gegeben, sagt Mettler, aber die Weiden seien entweder zu groß oder unübersichtlich oder die Tiere abgelenkt gewesen. „In großflächigen Gebieten kommt das Lama schnell an den Anschlag“, sagt er. „Das Lama funktioniert eben visuell.“

Immer mehr Betriebe mit Lamas

Problematisch sei ein Grundkonflikt mit der Tierschutzbewegung. Sie verlange, dass Tiere mindestens zu zweit gehalten werden müssten. Das reduziere aber den Schutzinstinkt. „Die kümmern sich dann mehr um den Artgenossen, die Schafe interessieren sie nicht mehr“, sagt Mettler. Beim Esel sei das besonders ausgeprägt, deshalb ließen die meisten Bauern davon ab, den Esel als Schutztier einzusetzen. Inzwischen schützten 25 Betriebe Herden mit Lamas, und es würden immer mehr. Auch Anfragen aus Deutschland und Österreich lägen vor.

Warum brauchen die Alpen den Wolf überhaupt? Die Menschen akzeptierten, dass der Wolf zur intakten Natur gehöre, so Mettler. Monard sieht das anders. „Eine Provokation für Schäfer“, sagt sie. Die Alpen seien ohnehin keine naturbelassene Region mehr.

Mit dem siebenjährigen Shakespeare ist sie sehr zufrieden. „Er schreit sofort, wenn mal ein Schäfchen fehlt“, sagt sie. „So macht er mich immer auf Probleme aufmerksam.“ Nur, wenn er ein Medikament zum Entwurmen brauche, werde es brenzlich. „Wir müssen ihn zu mehreren festhalten, das Medikament in seinen Mund schieben und rennen, dann spukt er nämlich.“ Das Spucken ist eine typische Zorn-Reaktion.

Monard verbringt die Sommermonate nahe der Herde in einem einfachen Chalet auf der Alb. Was würde sie tun, wenn Shakespeare nachts wirklich einmal schreiend vor einem Wolf stünde? „Ich habe eine sehr starke Beziehung zu Gott“, sagt Monard. „Ich würde dann beten.“

Fast jeder Alpen-Wolf stammt aus Italien

Praktisch alle Wölfe der Alpen stammen aus Italien. Dort lebten 1970 nur noch rund 100 Exemplare. Durch Schutzmaßnahmen hat sich der Bestand wieder auf 1800 Tiere erholt, die vor allem in den Apenninen leben. Während die Bevölkerung in Mittelitalien die Entwicklung laut Experten eher gelassen sieht, wird der Wolf in den Alpen oft als Störfaktor empfunden. Mit seinem Vordringen zeichnen sich zwei Problemfelder ab: Der Schutz der Herdentiere auf den Sommerweiden und die Verträglichkeit mit dem Tourismus.

Zum Schutz von Schafen und Ziegen werden Elektrozäune, Hirten und spezielle Hunde als „bellende Bodyguards“ benötigt. Das wird die Almwirtschaft voraussichtlich erheblich verteuern und weniger attraktiv machen, sofern nicht der Staat mit Förderungen hilft. Auch für Wanderer und Radfahrer kann der Einsatz von Hunden lästig werden, wenn die Tiere sie als Eindringlinge verbellen oder gar beißen.

In Österreich, wo im Gegensatz zur Schweiz erst wenige Wölfe unterwegs sind, gibt es viele skeptische Stimmen. „Das Verständnis der Bevölkerung ist nicht sehr groß“, heißt es bei der Nationalen Beratungsstelle Herdenschutz. Zumal die Herdenschutzhunde auch im Winter in den Dörfern gern und oft bellen und die Nachtruhe stören.

Ein spezielles Problem haben die Jäger. Wird durch den Wolf das Rotwild von den Fütterungen vertrieben und stillt seinen Hunger mit dem Verbeißen von Knospen und dem Schälen junger Bäume, kommen auf den Waidmann erhebliche Zahlungen an die Waldbesitzer zu. „Das kann für den Jäger den Ruin bedeuten“, sagt Österreichs Wolfsexperte Georg Rauer.

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