Verehrt und verhasst – der Wolf polarisiert die Menschen, seit er um die Jahrtausendwende wieder in Deutschland auftauchte. Mit wissenschaftlicher Seriosität soll ein neues Beratungszentrum des Bundes nun zur Beruhigung beitragen. Doch einfach wird das nicht.
Berlin – Die Wölfin von Goldenstedt hat es nun sogar bis in die Hauptstadt geschafft. Nach Berlin vorgedrungen ist zumindest der schlechte Ruf, den sich das einzelgängerische Tier in den niedersächsischen Landkreisen Vechta und Diepholz bei Schäfern und Anwohnern erworben hat. Die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz (BfN), Beate Jessel, will mit dem „Problemwolf“-Beispiel veranschaulichen, dass Isegrims Rückkehr nach Deutschland bisweilen für kaum nachvollziehbare Hysterie sorge. „Der Wolf vor dem Waldkindergarten in Goldenstedt“ sei wohl eine Sichtung aus großer Distanz gewesen – oder vielleicht auch nur ein sehr großer Hund.
…wir müssen das Nebeneinander von Mensch und Wolf erst wieder neu lernen
Seit 15 Jahren ist der lange ausgerottete Canis lupus wieder in Deutschland heimisch. Rund 80 ausgewachsene Exemplare und eine unbekannte Zahl von Welpen streifen inzwischen – als vom Aussterben bedrohte Art streng vor Jägern geschützt – durch die östlichen Bundesländer und Niedersachsen. Der Streit über das Comeback wird mit Heftigkeit geführt: Faszination und Freude aufseiten der Wolfsfans, Abwehr und Angst bei Skeptikern, die das kraftvolle Raubtier nicht in einer überwiegend dicht besiedelten Industrie- und Kulturlandschaft sehen wollen. Wenn dann noch von potenziell gefährlichen Begegnungen die Rede ist, kochen die Gefühle schnell hoch.
Umweltministerin Barbara Hendricks gehört schon qua Amt eindeutig zur Gruppe der Wolfsfreunde. „Die Rückkehr ist ein großer Erfolg für uns Naturschützer“, sagt die SPD-Politikerin am Mittwoch in Berlin bei der Präsentation ihrer Pläne für ein Beratungszentrums des Bundes. „Aber es ist eben auch eine große Herausforderung, weil wir das Nebeneinander von Mensch und Wolf erst wieder neu lernen müssen. Dass es dabei Konflikte gibt, ist natürlich klar.“ Diese Streitigkeiten «vernünftig zu regeln und möglichst klein zu halten», sei künftig eine der Aufgaben der Koordinationsstelle mit Hauptsitz in der sächsischen „Wolfsregion“ Görlitz.
Nicht der Wolf ist das Problem, sondern unser Umgang mit ihm.
Das Bundes-Zentrum soll wissenschaftlich dokumentieren, Daten sammeln, Populationsprognosen schreiben und vor allem die fürs Wolfs-Management zuständigen Behörden der Länder beraten. Denn dort – und nicht in Berlin – wird der teilweise ideologisch aufgeheizte Grundsatzstreit ausgetragen. „Je mehr man über den Wolf weiß, desto weniger Probleme gibt es“, hofft die Bundesministerin. Hendricks und Jessel verweisen darauf, dass noch kein einziger Wolfsangriff auf einen Menschen bekannt wurde und dass Schadensausgleichszahlungen für betroffene Nutztierhalter 2014 bei insgesamt nur 54 000 Euro lagen. Eher sei der Mensch Isegrims Feind als umgekehrt, sagt die BfN-Chefin und fügt hinzu: „Nicht der Wolf ist das Problem, sondern unser Umgang mit ihm.“ Wer beispielsweise ein Jungtier füttere, der dürfe sich später nicht über unerwünschte Nähe beklagen.
Beim nächsten Wolfsangriff geben wir die Schafszucht auf, denn dann sind wir pleite
Canis lupus sei eben „eine charismatische Art, die Emotionen auslöst“ – so drückt Volker Mosbrugger von der Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung seine Begeisterung wissenschaftlich-nüchtern aus. Der Deutsche Jagdverband äußert sich kritisch: Das neue Zentrum müsse „sich künftig auch stärker den konfliktträchtigen Themen widmen“, etwa wie die „Entnahme verhaltensauffälliger Tiere“ praktisch umgesetzt werden solle. „Im vergangenen Jahr kam es allein in Niedersachsen zu rund 70 dokumentierten Fällen, in denen Wölfe die Nähe des Menschen gesucht haben.“
Der Deutsche Bauernverband fordert: „Landnutzer und Weidetierhalter müssen hinsichtlich von Fragen der Prävention und Kompensation bundesweit Rechtssicherheit erhalten.“ Den Skeptikern geht es um Fälle wie Tino Barth. Der Schäfermeister hat mit der Wölfin von Goldenstedt Erfahrungen gemacht und gut ein Dutzend Tiere verloren. „Beim nächsten Wolfsangriff geben wir die Schafszucht auf, denn dann sind wir pleite“, sagte Barth Ende vorigen Jahres zu den Attacken.