Während manche entspannt und hundelos ihre Ferienzeit genießen, müssen andere umso mehr arbeiten: die Angestellten im Tierheim Berlin. Die Zahl der abgegebenen und gefundenen Tiere schnellt nämlich zu Urlaubszeiten – und das jedes Jahr – dramatisch nach oben. Der Tierschutzverein hat nun wegen Überfüllung einen Aufnahme-Stopp für Hunde verhängt. Auch im größten Tierheim Europas ist der Platz schließlich limitiert.
Trennungsgrund: Urlaub
„Im Sommer haben wir immer mehr Tiere als im Winter. Gerade zu Urlaubszeiten gehen die Zahlen der Fundtiere nach oben: Locker doppelt so viele wie sonst stranden bei uns in den Ferien“, sagt Pressereferentin Julia Sassenberg. „Wir sind längst an der Kapazitätsgrenze angelangt und können Hunde als Abgabetiere lediglich in absoluten Notfällen aufnehmen. Nur dann, wenn sich partout keine andere Lösung finden lässt.“ Zur Zeit wohnen etwa 330 Hunde hinter den Mauern des Tierheims, das 2001 von Lankwitz im Süden der Stadt nach Falkenberg im Berliner Osten zog.
Tierschutzverstöße sehr verbreitet
Verglichen mit einigen anderen europäischen Anstalten, mag der Aufenthalt in dem imposanten Rundgebäude manch einem wie Urlaub in einem Vier-Sterne-Hotel vorkommen. Und doch warten seine Bewohner nicht weniger sehnsüchtig auf ihre zweite – manchmal aber auch dritte oder vierte – Chance. Wie die hübsche Erna, die im Mai dieses Jahres im Tierheim gelandet ist. In ihrem zehnjährigen Leben hatte Erna einige schlechte Erfahrungen mit den Menschen machen müssen.
Ihre liebevolle, gutmütige Art hat sie sich aber trotzdem bewahrt – allen Widrigkeiten zum Trotz. Da ihre vorherigen Halter gegen das Tierschutzgesetz verstoßen haben, kam die freundliche Bordeaux Dogge ins Tierheim. „Eine amtliche Sicherstellung“, heißt es dann im Fachjargon. Einer der vielen Gründe, warum Hunde obdachlos werden und hinter Gittern landen.
Abgegeben, verwahrt oder gefunden
Wenn sie nicht aus Tierschutz-Gründen in die Obhut des Tierheimes kommen, werden sie oft vorläufig verwahrt, weil der Halter ins Gefängnis oder ins Krankenhaus muss. Unter Aufsicht der Tiersammelstelle warten dann solche Pechvögel, bis sie von ihren Besitzern wieder abgeholt oder – etwa aufgrund eines Gerichtsbeschlusses – dem Tierheim überschrieben werden. Nicht selten verleugnen Hundehalter seine vierbeinigen Freunde und geben sie am Schalter ab – ob mit einem triftigen oder fadenscheinigen Grund. Trotz der zweifellosen Dramatik der – aus Hundesicht – unfreiwilligen Trennung gehören solche Tiere noch zu den Glückspilzen. Es gibt schließlich auch Halter, die ihre Hunde aussetzen oder im Wald an einem Baum anbinden. In der Tierheim-Statistik zählen sie zu den „Fundtieren“.
Fünf Tage Zeit für die Haltersuche
„Wir versuchen die Herkunft jedes Tieres zu identifizieren – über den Chip oder Informationen am Halsband. Können wir die Besitzer nicht ausfindig machen, posten wir unbekannte Fundtiere zweimal in der Woche auf unserer öffentlich zugänglichen Facebook-Seite. Darüber erreichen wir ziemlich viele Leute, weil man die Posts teilen und so den Suchradius erweitern kann“, erklärt Julia Sassenberg.
Hat sich nach fünf Tagen kein Besitzer gemeldet, geht das Tier in den Besitz des Tierheims über und kann weiter vermittelt werden, abhängig vom Gesundheitszustand und dem Sozialverhalten. „Es gibt auch Hunde, die so schwierig sind, dass sie sehr lange gar nicht in die Vermittlung gehen können, sondern intensive Verhaltenstherapie benötigen, die sie bei uns auch bekommen“, so die Pressereferentin.
Richtige Menschen gesucht
„Wegen unausgeglichenen Verhaltens“ wurde auch Zorro von seinem Halter abgegeben. Allerdings gilt der sympathische, doch ziemlich unsichere Mischlingsrüde keinesfalls als verhaltensauffällig. Der fünfjährige Jack Russell Terrier-Mix hat sich in seinem früheren Zuhause für seine Menschen offensichtlich zuständig gefühlt, war aber mit der ungewollten Verantwortung – völlig verständlich! – gänzlich überfordert. Fremden Personen ist er misstrauisch, mit Menschen, die er aber gut kennt, arbeitet er äußerst bereitwillig und freut sich über jede Anweisung. Mit den richtigen Menschen an seiner Seite muss der kleine Zorro keine Führung übernehmen und wird seinen guten Charakter sicherlich schnell zeigen.
Pro-Kopf-Pauschale zu gering
Fundtiere sowie Tiere aus Sicherstellungen und Verwahrungen gehören unter die Aufsicht der amtlichen Tiersammelstelle, bis der Halter sie abholt oder sich die Besitzverhältnisse ändern und die Tiere dem Tierheim überschrieben werden. Die Tiersammelstelle untersteht dem Bezirksamt Lichtenberg, ist aber physisch auf dem Gelände des Tierheims verortet. Nach fünf Tagen in der Sammelstelle geht das Fundtier in den Besitz des Tierheims über und bekommt für seine Verpflegung 30 Tage lang eine geringe Pro-Kopf-Pauschale von der Stadt. Pro Hund sind es aktuell rund 23 Euro Brutto. Tatsächlich aber bleibt ein Fundhund bis zur Vermittlung keine 30, sondern durchschnittlich 149 Tage im Tierheim. Bei Listenhunden dauert der Aufenthalt im Schnitt sogar 444 Tage.
Listenhunde sind arm dran
Cindy, ein Staffordshire-Mix, hat die interne Statistik weit nach oben getrieben. Die rothaarige Hündin sitzt seit über 2100 Tagen hinter Gittern und hat wenig Chancen auf eine Vermittlung. Für den fast sechsjährigen Aufenthalt ist neben ihrer Rassenzugehörigkeit womöglich auch ein kleiner Schönheitsfehler verantwortlich: Cindy fehlt das linke Auge. Doch auch einäugig kommt die agile Hündin mit unbekannter Vorgeschichte problemlos zurecht: Sie ist verschmust, menschenbezogen und liebt Futtersuchspiele.
Vielen Listenhunden geht es ähnlich: Wegen der restriktiven Hundegesetze haben bestimmte Rassen in Berlin und Brandenburg nur wenig Vermittlungschancen, anders als in einem listenhundefreundlichen Bundesland. Im Tierheimjargon heißt das ein „Vermittlungshemmnis“. Dazu gehören auch Krankheiten oder optische Unzulänglichkeiten. Cindy hat gleich zwei davon.
Das Geld ist knapp
Bei zahlreichen Tierheiminsassen übernehmen Privatpersonen und Firmen eine Patenschaft für die tägliche Versorgung und Pflege der Tiere. Das größte und modernste Tierheim Europas finanziert sich sonst aus den Beiträgen seiner rund 15.000 Mitglieder, aber auch aus Spenden und Sponsorengeldern sowie aus Nachlässen tierlieber Menschen. Erstmals in seiner 116-jährigen Geschichte bekam der Berliner Tierschutzverein im letzten Jahr 300.000 Euro Zuwendung aus dem Landeshaushalt. Bei einem jährlichen Bedarf von acht Millionen Euro ist das aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
„Aktuell laufen weitere Verhandlungen mit der Stadt, das Geld ist leider sehr knapp“, erklärt die Pressesprecherin Annette Rost. „Wir haben sehr viele erkrankte, auch chronisch kranke Tiere, die medizinisch versorgt werden müssen. Um die verhaltensauffälligen Hunde kümmern sich Verhaltenstherapeuten und Trainer, um die Tiere fit für die Vermittlung zu machen.“ Das Tierheim zählt 170 fest angestellte Mitarbeiter, darunter acht Tierärzte.
Anlaufstelle für Problemtiere
Nach den Besonderheiten des Berliner Tierheims gefragt, antwortet Annette Rost: „Neben der riesigen Exotenstation, die es in der Größe wohl kein zweites Mal in Deutschland gibt, sind wir sehr stark in der Beratung. 50 % der Zeit, die die Tierpfleger in ihre Arbeit investieren, gehen in die Beratung der Tierhalter.“ Seit letztem Jahr gibt es auf dem Gelände des Tierheims zahlreiche Seminare für Einsteiger und Fortgeschrittene. „Wir sind eine Anlaufstelle für Problemtiere und beraten nicht nur potenzielle Interessenten, sondern auch Menschen, die ein Tier bei uns adoptiert haben, so die Pressesprecherin.
Intensive Tierschutzarbeit
Damit die Situation der Haustiere, aber auch der Nutztiere nachhaltig besser wird, leistet das Tierheim intensive Aufklärungsarbeit für Kinder und Jugendliche. Auf dem eigenen Tierschutzbauernhof gibt es jeden Tag Unterricht, in dem junge Menschen zu unterschiedlichen Tierschutzthemen informiert werden, wie etwa Bio-Eier, Massentierhaltung oder Kastenstände. Das Tierheim ist vom Mittwoch bis Sonntag zwischen 13:00 und 16:00 Uhr geöffnet.
Wer sich für einen Hund interessiert, kann die drei Vermittlungshäuser auch ohne einen Termin besuchen. Sie platzen gerade aus allen Nähten. Es ist ja Urlaubszeit.