Voriges Jahr wurden in Thüringen 415 Beißattacken von Hunden gezählt. An neun davon waren Tiere beteiligt, die zu einer als besonders gefährlich geltenden Rasse gehören. Fachleute wollen aber den Blick stärker auf die Hundebesitzer statt die jeweilige Rasse richten.

Erfurt – Fünf Jahre nach Verabschiedung des Thüringer Kampfhunde-Gesetzes bleibt die darin enthaltende Rasseliste umstritten. Menschen, die viel mit Hunden zu tun haben, halten sie für überflüssig, weil sie am eigentlichen Thema vorbeiführe, ergab eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur bei Hundeschulen, Sachverständigen und Behörden. Gefordert wird dagegen ein Hundeführerschein für jedes Tier – unabhängig von der Rasse. Das Innenministerium bereitet eine Gesetzesänderung vor, die Rasseliste wird wohl aber erhalten bleiben.

Rasseliste für alle Hunde?

Das Problem seien die Besitzer, sagte Eckhard Dierbach, einer von 47 in Thüringen registrierten Hundesachverständigen. Jeder Zweite wisse bei der Neuanschaffung nicht, ob das Tier zu ihm und seinen Lebensumständen passe. Die vier in der Liste aufgeführten Rassen – American Staffordshire-Terrier, Pitbull Terrier, Bullterrier und Stafford Bullterrier – seien nicht gefährlich. „Eigentlich sind das sogar sehr familienbezogene Tiere, die selten aggressiv sind“, erläutert Dierbach. „Nur weil sie ein anderes Beißverhalten haben, sind sie nicht gefährlicher als andere Hunde.“ Stärker berücksichtigt werden müssten auch Fehlhaltungen von Hunden – egal welcher Rasse.

Neue Vorschriften für Kamfhunde(besitzer)?

Alle Hunde müssen erzogen werden

Auf die Thüringer Hundeschulen hatte die gesetzliche Neuregelung keine Auswirkung. „Zu uns kommen weiterhin die Halter, die etwas dazulernen wollen“, sagte Hundetrainerin Yvonne Brans von der Hundeschule in Wolfsberg bei Ilmenau. Dass sie beim Kauf eines Hundes für mindestens 14 Jahre Verantwortung übernehmen, sei vielen nicht bewusst. „Hunde müssen erzogen und alltagstauglich gemacht werden“, sagt die Hundetrainerin. „Ein unerzogener Dackel könne auch gefährlich sein.“

Auch Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) – selbst Hundehalter – hat sich für einen Wesenstest ausgesprochen. Laut Innenministerium ist eine Gesetzesänderung geplant, wonach als gefährlich eingestufte Hunde sich künftig einem solchen Test unterziehen können. Besteht das Tier diese Prüfung, dann sollen den Angaben nach strenge Auflagen wie die Maulkorbpflicht aufgehoben werden. Halter müssen die Prüfung aber aus eigener Tasche bezahlen. Die bisher geltende Rasseliste soll bestehen bleiben.

Hundehalter sollen ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen

Die Rasse macht nicht den gefährlichen Hund aus meint Rene Voigt von der Hundeschule am Rennsteig in Sachsenbrunn (Kreis Hildburghausen). Bei Vorfällen gehe es immer um das einzelne Individuum; nie um eine ganze Rasse. In der Hundeschule lerne man das vertrauensvolle Miteinander von Mensch und Tier. „Jeder, der sich einen Hund anschafft, sollte seine Fähigkeiten und Kenntnisse unter Beweis stellen“, fordert Voigt. Der Erwerb einer Erlaubnis müsse der Anschaffung vorausgehen.

Nur 659 Listenhunde in Thüringen

Laut Innenministeriums ist in Thüringen die Zahl der gemeldeten Hunde von 122 000 im Jahr 2012 auf 145 000 im vergangenen Jahr gestiegen. Die Zahl der „Listenhunde“ ist im gleichen Zeitraum von 838 auf 659 gesunken. Auch die Anzahl der Beißattacken von Hunden sank in diesem Zeitraum: von 450 auf 415. Während 2012 noch zwölf per Gesetz als gefährlich eingestufte Hunde beteiligt waren, waren es im Vorjahr noch neun. Zum Vergleich: 2015 wurden 72 Beißattacken von Schäferhunden gemeldet – davon gab es rund 13 300 Tiere im Land.

Jüngst hatte etwa die Attacke eines Boxers auf einen Fünfjährigen in Gößnitz (Altenburger Land) für Schlagzeilen gesorgt. Der Hund war von einem Nachbargrundstück ausgebüxt, hatte das spielende Kind angefallen und massiv ins Gesicht und in die Beine gebissen. Der Junge musste notoperiert werden.

Die meisten Tierheime hatten sich nach der Neuregelung im Jahr 2011 geweigert, vom Ordnungsamt beschlagnahmte Hunde aufzunehmen. „Das war unser Boykott gegen die Rasseliste“, erklärte Gerd Fischer, Vorsitzender des Landestierschutzvereins, zu dem 30 Tierheime gehören. Es bedürfe nur einer Ergänzung, forderte er mit Blick auf das Gesetz:

„Das generelle Verbot einer Rasse muss im Gesetz gestrichen und durch eine Forderung nach einem Wesenstest zur Ermittlung der Gefährlichkeit ersetzt werden.“

Im Tierheim Erfurt wurden in den vergangenen Jahren mehrere Hunde aufgenommen, die unter das Gesetz fallen. Weil sie schwer zu vermitteln sind, werden sie den Angaben nach wohl auch ihr Gnadenbrot im Heim bekommen.

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Trotz aller Kritik sehen die Experten auch positive Aspekte im Kampfhunde-Gesetz. Dass nunmehr alle gemeldeten Hunde einen Chip und eine Haftpflichtversicherung haben, sei ein riesiger Fortschritt. „Es fehlt noch eine zentrale Datenbank“, erklärte Hundetrainer Hans Jörg Stengler aus Sömmerda. Dafür könnte das bundesweite Haustierregister genutzt werden, schlägt Gerd Fischer vor. Da seien auch die Tierärzte stärker gefordert.

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