Ihre Augen sind halb offen, aber wach. Die Brust hebt sich rhythmisch, etwas schneller als sonst, vielleicht bilde ich es mir aber nur ein. Ich lege mich zur ihr auf den Boden und versuche jedes noch so kleine Zeichen zu deuten. Ich lausche ihrem Atem und streichle sie sanft über die Wange. Was willst Du mir sagen, Shila? Was soll ich nur tun? Hast Du Schmerzen? Bist Du etwa schon bereit zu gehen? Der Frühling ist doch noch nicht da: Wir hatten eine Abmachung, weißt Du noch? Du wolltest warten, bis der Garten in voller Blüte steht. Versprechen bricht man doch nicht.
Aber vielleicht ist das auch nichts. Nur ein kleiner nächtlicher Schwächeanfall. Ein unbedeutender, vorübergehender Aussetzer, wie ihn Hundesenioren schon mal haben dürfen. Die Phantasie geht mit mir durch. Womöglich. Hoffentlich. Krampfhaft suche ich nach Beweisen, dass Shilas unruhiges Verhalten in der Nacht nichts Ernsthaftes bedeutet. Sobald ich aufhöre, sie zu streicheln, tippt sie mich mit der Pfote an. Weiter machen. Unser altes Spiel. Das ist doch eindeutig ein gutes Zeichen oder nicht? Ganz sicher. Welch sterbender Hund würde noch die Kraft aufbringen, Streicheleinheiten einzufordern? Wohl keiner. Oder ist das doch Shilas Art, Abschied von mir zu nehmen?
Tierkommunikation könnte helfen
Wer sich mit ähnlichen Fragen quält, kann die Tierkommunikation in Anspruch nehmen. Mittels telepathischer Kontaktaufnahmen sollen besonders feinfühlige Personen mit Tieren kommunizieren können. Um sie nach ihrem Wohlbefinden zu fragen, beispielsweise. Oder nach unerledigten Aufgaben. Nach Gründen für Verhaltensauffälligkeiten, nach der Vergangenheit. „Es ist eine ganz natürliche Gabe, wie das Sprechen auch“, erklärt Gabriele Sauerland von Communicanis. „Das ist die älteste Form der Kommunikation. so tauschen sich Lebewesen untereinander aus. Durch die Erziehung in der hochtechnisierten Welt haben Menschen das nur verlernt, können aber genauso wieder erlernen. Nur trainieren muss man das.“
In ihrer Praxis im Allgäuer Rieden am See bietet die Mentalkommunikatorin und Tierheilpraktikerin Vorträge, Seminare und Workshops, aber auch Webinare für interessierte Internetnutzer. Regelmäßig kommuniziere sie auch mit Tieren. Über 1600 „Medialoge“ habe sie mit unterschiedlichen Tierarten geführt, bundesweit und darüber hinaus. Meist anhand eines zugeschickten Fotos und auch mit kürzlich verstorbenen Tieren.
Ich gehe in einen Zustand der Meditation, gebe das wieder, was das Tier an Bildern, Gedanken und Gefühle vermittelt
„Es ist nicht leicht zu verstehen, da unsere Vorstellung von Sprache in Verbindung mit verbaler Kommunikation gebracht wird“, so Gabriele Sauerland. „Ich gehe in einen Zustand der Meditation und gebe das wieder, was das Tier an Bildern, Gedanken und Gefühle vermittelt. Es ist keine Einwegkommunikation, sondern ein Dialog. Noch nie habe ich ein Tier erlebt, das mit mir nicht sprechen wollte. Und ich habe jedes auch immer verstanden.
Die tickende Zeitbombe
Bei meiner im Dezember letzten Jahres verstorbenen Hündin habe ich die Tierkommunikation auch in Anspruch genommen. Obwohl ich sonst sehr bodenständig und so gar nicht spirituell bin. Ich kannte Kreska allerdings kaum, das arme Dreibein aus Rumänien war bei uns nur rund drei Monate. Als sie unerwartet und zunehmend schwächer wurde, habe ich mich mit der Entscheidung, sie gehen zu lassen, sehr schwer getan. Nicht zuletzt wollte ich aber auch unbedingt wissen, wie so ein Gespräch abläuft. Das zugeschickte Protokoll der Kommunikation mit Kreska hat meine Zweifel an der Methode zwar nicht ausgeräumt, aber trotzdem seltsam beruhigt und in der Entscheidung bekräftigt. So funktioniert wohl die menschliche Psyche: Sie greift nach Strohhalmen, wann nur möglich.
Meine knapp 12-jährige Shila kenne ich aber sehr gut. Seit drei Stunden liegen wir eng aneinander gekuschelt auf dem Boden. Ihr Fell riecht angenehm, gar nicht nach Krankheit. Sie hat kaputte Nieren, das weiß ich seit sieben Wochen. Und vor 13 Tagen hat eine Ultraschall-Untersuchung noch eine Krebsdiagnose ans Licht gebracht. Als wäre die Niereninsuffizienz nicht schon schlimm genug. Ein Milztumor mit Metastasen in der Bauchhöhle. Ein absoluter Horror und eine bedrohlich tickende Zeitbombe.
Seit der Diagnose behandle ich mein süßes Monster wie ein rohes Ei. Wir kuscheln pausenlos, ich korrigiere Ihr Fehlverhalten auch gar nicht mehr und bereite ihr täglich was Köstliches zum Essen. Gestern hat sie noch im Garten mit ihrem Lieblingsball gespielt und eine Riesenportion zum Abendessen vertilgt. „Solange sie Appetit hat, ist alles gut“, tröste ich mich. Bekomme aber einen Dämpfer: „Krebs will ja gefüttert werden“, sagt mir eine Tierärztin unverhohlen.
Einer der vier Tiermediziner, die ich wegen Shila kontaktiert habe. Der „Stinker“, wie ich mein Rottie-Mädchen liebevoll nenne, bekommt jetzt auch Vitalpilze, die den Tumorwachstum hemmen sollten. „Vielleicht geschieht noch ein Wunder“, sagt mir das Herz. „Ist doch Schwachsinn“, lacht mich der gesunde Menschenverstand höhnisch aus. Ich will aber nichts unversucht lassen. Die Hoffnung stirbt schließlich zuletzt.
Krebs bleibt die häufigste Todesursache
Laut der US-amerikanischen „Veterinary Cancer Society“ landen Rottweiler an der zehnten Stelle im Ranking der Rassen mit gesundheitlichen Problemen. Rottis werden durchschnittlich zwischen acht und zwölf Jahre alt und sollen zu Knochenkrebs, Ellbogen- und Hüftdysplasie und Magen-Drehungen neigen. Krebs bei Hunden allgemein ist übrigens die häufigste Todesursache. Laut einer britischen, 2011 veröffentlichten Studie im Auftrag des französischen Tierversicherers SantéVet erliegen ganze 27 Prozent der Hunde einem Krebsleiden. Fast ein Drittel also. 18 Prozent aller Hunde sterben an Herzleiden. Bei den häufigsten Krankheiten, die die Studie erfasst, dominiert die Fettleibigkeit, die jedem zweiten Hund zusetzt.
Die Vierbeiner werden sonst auch oft von Infektionen mit Viren, Bakterien oder Parasiten geplagt. Alte Hunde leiden häufig an Diabetes, Arthrose, grauem Star und Nierenproblemen. Nach dem 10. Lebensjahr stirbt aber fast jeder zweite Hund wegen unterschiedlicher Tumore. Warum kann Shila nicht in der zweiten, gesunden Hälfte sein, verdammt noch mal?
Die längsten 23 Minuten meines Lebens
Der Morgen bricht an. Nach meiner nächtlichen Wache, während der Shila kaum geschlafen hat, schöpfe ich neue Hoffnung. Sie ist ruhiger geworden, scheint endlich einzuschlafen. Ich komme auf die Idee, den ultimativen Test zu machen: den Futtertest. Mein süßer Tollpatsch war ihr Leben lang extrem verfressen. Keine Lebensmittel, die unbeabsichtigt herumlagen, waren vor ihr sicher. Sie hätte locker jeden Labrador in den Schatten gestellt. Wenn sie noch isst, ist alles gut.
Und ja, den Test besteht sie mit Bravour: Sie leckt den Löffel mit ihrer Lieblingsleberwurst eifrig weg. Ich atme erleichtert auf und beschließe, eine kurze Runde mit meinen anderen beiden Hunden zu drehen. Als wir fertig sind und aufbrechen wollen, möchte Shila plötzlich mit. Ich will sie im Garten pinkeln lassen und wieder ins Körbchen schicken. Doch dann torkelt sie plötzlich und bricht zusammen. Sie hechelt stark und reagiert gar nicht mehr auf meine Berührung.
Mit zitternden Händen wähle ich die Telefonnummer meiner Nachbarin, einer Tierärztin. Ein Anrufbeantworter ertönt. Zum Glück nennt sie auch ihre Handynummer. Die Ziffern schwirren mir im Kopf, ich muss mich maximal konzentrieren, damit ich sie richtig aufschreibe. Es klingelt. Ich halte das Smartphone unbewusst so fest, dass meine Finger einen Krampf bekommen. Niemand meldet sich. Zehn Sekunden vergehen, 15, 20. Ich knie bei der Shila und kann mein Schluchzen kaum noch unterdrücken. Endlich nimmt die Tierärztin ab. „Patrizia, komm bitte schnell rüber. Shila geht es ganz schlecht“, hauche ich den Hörer. Meine Stimme versagt. „Ich bin in einer Viertelstunde bei dir“, antwortet sie kurz. Doch sie braucht 23 Minuten. 23 Minuten, die sich wie 23 Stunden anfühlen.
Shila ringt jetzt um den Atem, die Zunge hängt leicht aus dem Maul heraus. Sie schaut mich nicht mehr an, ihre Augen sind in weite Ferne gerichtet. Ich umarme sie etwas hysterisch und flüstere ihr alles Mögliche ins Ohr. Keine Ahnung was, ich will ihr nur die Angst nehmen. Und mir. Und dann klopft es endlich an der Tür.
Die Tierliebe hört angesichts des Todes auf
Keine schöne Aufgabe, ein Tier zu erlösen. Aber offenbar nicht die schlimmste im tierärztlichen Alltag. Auf die Frage, was das Schlimmste an seinem Job sei, offenbart ein US-amerikanischer Tierarzt: „Schätzungsweise 90 Prozent aller Halter wollen nicht mit im Raum sein, wenn ihr Haustier eingeschläfert wird. Deswegen müssen viele Tiere unnötig leiden, weil ihre Halter sie in dem entscheidenden Moment verlassen. Die traurigen und verwirrten Blicke, mit denen die sterbenden Tiere nach ihren Vertrauenspersonen suchen, sind das Schlimmste an meinem Job“, postete Jessi Dietrich aus Knoxville (Tennessee) die Aussage ihres Tierarztes auf Twitter.
Offenbar hört die Tierliebe angesichts des Todes auf. Nicht nur in den Staaten, auch in Deutschland. Für die meisten Halter hierzulande bleibt die Tierkörperverwertung die erste Wahl nach dem Ableben ihrer Haustiere. Dabei werden Hunde zusammen mit Schlachtabfällen in einer Tierkörperbeseitigungsanlage zu Tiermehl oder anderen Produkten verarbeitet. „Drei Viertel der Haustiere gehen in die Tierkörperbeseitigung“, schätzt Klaus Bornhorst, Leiter des Padeborner Veterinäramts. Die Beseitigung eines Hundekörpers kostet dort 19,08 Euro. Ein Schnäppchen im Vergleich zu einem Krematorium oder Tierfriedhof.
Drei Viertel der Haustiere gehen in die Tierkörperbeseitigung
Tierfriedhof: Im Garten zu Hause
Zum Glück haben wir einen eigenen Garten, in dem Shila ihre letzte Ruhe findet. Bis zu ihrem letzten Atemzug halte ich meine geliebte Hündin fest umschlungen. Sie schläft sanft ein. Die Herausforderung, einen Grab für sie zu graben, stellt sich als überraschend beruhigend heraus. Der Erdhaufen neben der Grube wird immer größer – ich kann einfach nicht aufhören, zu buddeln, so sehr fürchte ich mich vor dem Moment, mein geliebtes Monster für immer aus den Augen zu verlieren. Ich weine ununterbrochen und der Himmel weint mit. Im Regen wird das Schaufeln noch schwieriger, die körperliche Anstrengung lenkt mich aber etwas ab. Und dann stoße ich beim Graben auf ein paar uralte kleine Glasfläschchen und Tintenfässer. Ein Geschenk von der Shila. Als wüsste sie, dass ich alte Glasbehälter liebe. Der Gedanke tröstet mich etwas.
Die Tiere verstehen den Tod anders als wir
„Die Tiere verstehen den Tod anders als wir“, erinnere ich mich an das Gespräch mit Gabriele Sauerland. „Für uns ist ein endgültiger Abschied, ein Tier sieht das nicht. Aus tierischer Sicht steht viel mehr der Wandel im Vordergrund. So als verlasse man ein Zimmer und gehe in ein anderes hinein. Das Tier steht auch eine lange Zeit mit seinem Halter in Verbindung.“ Wie gerne wäre ich jetzt ein Tier.
Regeln für eine Tierbestattung
Doch selbst im eigenen Garten gelten für ein Hundebegräbnis einige Richtlinien, die man beachten muss. „Für die Bestattung eines kleinen Tiers braucht man keine Genehmigung. Bei einem größeren Hund muss die Erlaubnis der zuständigen Behörde, also dem Veterinäramt eingeholt werden“, erläutert Kristina Trahms, Rechtsanwältin von der Hundekanzlei.de. Das Grab sollte mindestens 50 Zentimeter tief sein und darf nicht direkt an öffentlichen Wegen liegen, sondern in einem Abstand von ein bis zwei Meter. Das gilt auch für Grundstücksgrenzen zu den Nachbarn, um eventuelle Streitigkeiten zu vermeiden. „Wurde der Kadaver eingeäschert und befindet sich die Asche in einer Urne, darf diese ohne weitere Auflagen im privaten Garten begraben werden. Es können allerdings Unterschiede in den einzelnen Bundesländern bestehen“, so die Spezialistin für Hunderecht.
Befindet sich der eigene Garten allerdings in einem Gebiet für Trinkwasserversorgung oder in einem Naturschutzgebiet, ist dort eine Haustier-Bestattung gänzlich verboten. Ist der Hund an einer meldepflichtigen Krankheit gestorben, darf er ebenfalls nicht in der Erde beigesetzt werden, damit sich die Erreger nicht ausbreiten können. „Mieter müssen sich für die Bestattung ihres Hundes im Garten des Mietobjekts um die Zustimmung des Vermieters bemühen. Wird diese erteilt, gelten dieselben Vorschriften wie für den eigenen Garten, erklärt Kristina Trahms.
Wem kein Garten zur Verfügung steht, der darf in Deutschland seinen Hund nicht etwa in einem Park oder Wald begraben, egal ob großer oder kleiner Hund. Auch das Entsorgen im Hausmüll ist verboten – sollte jemand überhaupt auf solch abstruse Idee kommen. „Nach dem Tierische Nebenprodukte-Beseitigungsgesetz (TierNebG) stellt das Begraben von Hunden an nicht dafür zugelassenen Stellen eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit fünfstelligen Bußgeldern bestraft werden kann“, so sie Anwältin.
Die Trauer grenzenlos, die Stille so dröhnend
Meine Shila ist in ihrem geliebten Garten zur Ruhe gekommen. Auf ihrem Grab wachsen jetzt gelbe Stiefmütterchen, die uns eine liebe Nachbarin geschenkt hat. Die Stille im Haus dröhnt mir in den Ohren – mein süßes Monster hat sonst keine Gelegenheit ausgelassen, mit ihrer Rute heftig auf dem Boden zu klopfen, wann immer sie mich vorbeigehen sah. Stets gut gelaunt, jederzeit bereit zu schmusen. Eine Frohnatur durch und durch. Meine Seelenverwandte, mein Trostpflaster.
Ich bin aufgewühlt und finde keine Ruhe: Erinnerungen wirbeln sich in meinem Kopf zu einem emotionalen Tornado zusammen. Wie seltsam, wie das Gehirn funktioniert. Jetzt, wo Shila gegangen ist, kommen mir sogar ihre Macken, die mich früher auf die Palme gebracht haben, nicht mehr schlimm, sondern süß vor. Der lebenswichtige Schutzmechanismus des Gehirns, der positive Dinge herausfiltert und negative in den Tiefen des Bewusstseins begräbt, lässt meine Trauer nur noch größer werden. Denn jetzt wäre ich glücklich, wenn sich Shila an meinem mühsam gekochten Mittagessen bedienen würde, nur weil ich den Teller für eine Sekunde achtlos stehen gelassen habe. Jetzt würde ich mein Essen freiwillig mit dir teilen, Monster…